Einblicke ins Herz der Welt – Benno Werths späte Malkunst

Mein erster Zugang

Ich folgte einer Einladung zur Vernissage nach Düsseldorf, eigentlich mehr aus Zuneigung zur Einladenden, als aus echtem Interesse. Weder kannte ich Benno Werth, noch sein künstlerisches Werk. Es kam mir gar nicht in den Sinn, vielleicht eines der Bilder oder eine Skulptur zu erwerben, wollte nur mal anschauen, was dort zu besichtigen war.

Höllenglut, Öl auf Leinwand, 2008

So schlenderte ich zunächst eher teilnahmslos durch die Ausstellung. Aber die Farben weckten mein Interesse, die leuchtenden und irgendwie sich bewegenden Farben, die Übergänge zwischen fast grellem Gelb und tiefem Rot, Erinnerung an Feuer. Bei „Glut“ blieb ich stehen. Reste eines Feuers wurden kontrastiert von schwarzen Rauchfahnen, von verkohlten Holzstücken. Ich ging weiter – und wieder zurück zur „Glut“. Immer wieder ging ich dorthin zurück – merkwürdig! Es war eine fast magische Anziehung. Und plötzlich stieg der Wunsch auf: Dieses Bild möchte ich immer wieder anschauen, immer wieder auf mich wirken lassen. So blieb ich immer wieder vor ihm stehen. Zu meiner Überraschung fragte Benno Werth mich „Warum spricht Sie dieses Bild so besonders an?“ Ja warum eigentlich?  „Es drückt etwas in meinem Inneren aus, ist ein Abbild innerer Motive und auch ihrer dunklen Schatten.“  Benno war interessiert und schien überrascht und erfreut, aber mich ließ die Frage noch nicht los. Die Magie dieser besonderen Faszination blieb mir immer noch rätselhaft. Bis eines Tages – oder war es nachts? – auf einmal ein inneres Bild aufstieg: Ich war drei oder vier Jahre alt und schaute an einem Winterabend durchs Fenster und durch die Nacht ins Nachbarhaus, eine Schmiede und dort direkt in die Esse, in die Glut. Das war’s!!  Schon damals hatten mich Glut und Feuer fasziniert – und heute tun sie’s immer noch. Womöglich war das sogar der tiefere Grund für meine Berufswahl: Chemie (die damals offen sichtbar feuriger war als heute).

Die Tiefendimension

Benno Werth hat mit seinem Bild eine mir gar nicht mehr bewusste, aber nach wie vor wirkende innere Welt erreicht und für das Bewusstsein erleuchtet. Ich habe das inzwischen auch bei seinen späteren Bildern erlebt. Freilich, es geschieht erst, wenn ich selbstvergessen in die Bildwelt eintauche und mich von ihr gleichsam umfangen lasse. Es geht nicht darum, das Bild „zu verstehen“ oder es auch nur „verstehen“ zu wollen. Ich setze mich einfach hingebend – meditativ – seiner Wirkung aus. Und stelle fest, vielleicht erst Tage und Wochen später: ja, sie wirken! Und sie wirken auf mich gut, inspirierend, erhellend, kreativ – ohne das offensichtlich zu beabsichtigen. Diese Bilder verfolgen keinen Zweck, wollen nicht belehren, aufklären, anklagen, unterhalten. Sie sind auch keine Selbstinszenierung des Künstlers. Ich glaube, sie wollen nicht einmal erfreuen – und tun es doch. Ihre Wirkung ist dem rationalen Diskurs entzogen, sie kann weder gewollt, noch verstehend analysiert werden, aber sie ist da. Sie kommt aus einer Dimension, die zutiefst menschlich ist und doch jenseits des heutigen Bildungskanons liegt, der allzu einseitig auf vernünftiges Wissen, auf rationalen Diskurs, auf aufgeklärtes Bewusstsein setzt. Das alles ist selbstverständlich nicht falsch, aber es reicht nicht. Insbesondere reicht es nicht im Hinblick auf die Ziele, die sich die sogenannte Wissensgesellschaft setzt: Mündigkeit, Bildung, Leistungsfähigkeit, Konkurrenzfähigkeit, Spitzenleistungen einer erhofften Elite, Durchsetzungsfähigkeit und dennoch Mitmenschlichkeit, interkulturelles Verständnis, Toleranz, Werte, friedliches Konkurrieren. Das Fundament der stolzen Bildungsgebäude wird kaum bedacht. Irrtümlich wird das, was wir Bildung nennen und was als Bildung gelehrt wird, für das Fundament gehalten. Ein schwerwiegender Irrtum.
Kein Hochhaus kann sich halten ohne stabiles Fundament. Das ist einleuchtend, selbstverständlich. Für „Bildungs-Hochhäuser“, wie sie heute von Kindergärten bis zu den Hochschulen gefordert und auch realisiert werden, gilt aber das Gleiche und das ist nicht selbstverständlich, denn es erfordert Kenntnis über und Erfahrung mit menschlicher Psyche. Das Fundament, der Wurzelgrund unserer Psyche ist nonverbal. Was wir darüber sagen, das ist bereits reflektierende Meta-Ebene und unerheblich. Das Fundament, das sind – meist unbewusste – frühe Eindrücke, Erlebnisse, sinnliche Anregungen, Bilder. Was für Bilder – auch sie eher unbewusst – tragen wir in uns? Wovon ist unser spontanes Handeln bestimmt?  Ich will das jetzt nicht näher ausführen; Tiefenpsychologie und Hirnforschung wissen aber inzwischen viel darüber. Für mich gibt es keinen Zweifel: Benno Werths Bilder reichen in dieses Fundament, in diesen Wurzelgrund. Und ich weiß: sie wirken dort. Das macht mich glücklich.

Benno Werths kreativer Mal-Prozess

Wie kann es sein, dass seine Bilder eine solche Tiefenwirkung entfalten? Man kann eine solche Wirkung ja nicht einfach wollen und planen oder sich ausdenken. Ich bin davon überzeugt, dass die Wirkung gerade durch die Nicht-Absicht zustandekommt. Benno malt gleichsam aus sich selbst heraus, hingebungsvoll und absichtslos. Was aus dem eigenen Herzen kommt, vermag andere Herzen zu erreichen. Das ist das Geheimnis. Es ist aus der Musik wohlbekannt. Auch aus der Poesie. Dass dies gelingen kann, das liegt wohl am lebensvollen und erfahrungsgesättigten und zutiefst menschenfreundlichen Herzen des inzwischen über 80-jährigen begnadeten Künstlers.  Es ist ja von manchen kreativen alten Menschen bekannt, dass sie ihre reiche Lebenserfahrung in eine geradezu kindlich-freudige Seele eingebettet haben. Das scheint mir bei Benno der Fall zu sein. Seine Bilder sind Bilder seiner Seele, die er immer weiter erkundet und zum Ausdruck bringt. Ich bin zutiefst beeindruckt von der Weiterentwicklung seiner Malkunst in den letzten vier Jahren. Immer mehr sprechen seine Bilder zu mir, immer tiefer offenbart sich mir das Geheimnis menschlicher Existenz.

Komplementär zu Wissenschaft

Wir Menschen des 21. Jahrhunderts leben in einer von Faktenwissen übersättigten Welt. Die Wissenschaften – und ganz besonders die Naturwissenschaften – blühen und produzieren immer neues und besseres Wissen. Wissenschaftliches Verstehen erfordert ein hohes Abstraktionsverständnis. Begriffe wie Chaostheorie, Selbstorganisation, Emergenz, generell der Versuch, „höhere“ Ordnung aus „niederen“ Ordnungselementen abzuleiten, entziehen sich meinem Vorstellungsvermögen. Sie sind mathematisch zugänglich, aber schwierig zu „verinnerlichen“. Intellektualität steht in Gefahr, von Menschlichkeit abzudriften. Selbst forschender Wissenschaftler sehe ich in Benno Werths Bildern das Phänomen „Emergenz“ gleichsam „ganz natürlich“ dargestellt. Es wird so für mich fassbarer, ich kann es integrieren. Mir wird, wenn ich mich in ein solches Bild versenke, spontan klar, dass rationale und abstrakte Wissenschaft allein weder das Weltgeschehen noch die alltäglichen Bewegungen und Sprünge der eigenen Psyche dem Menschen-Subjekt einfühlbar nahe bringen können, dass Wissenschaft, wenn sie menschlich integriert werden soll, der visuellen Darstellung der Vielfalt von „Dynamik“ bedarf. Gerade die jüngsten Bilder des Künstlers empfinde ich als lebensnah dynamisch in ihrer „Bewegtheit“, die inzwischen auch unübersehbar eine räumliche Dimension bekommen hat. Zugleich erinnern manche Einzelheiten an Darstellungen biologischer molekularer Komplexe in einem Substrat.

Innere Bilder

Wir Menschen leben mehr als wir wissen von Inneren Bildern. Wir möchten uns ein Bild von der Welt und von uns selbst und den Mitmenschen machen. Solche Bilder helfen, uns in dieser gefahrvollen und komplexen Welt zurechtzufinden und mit uns selbst und den Mitmenschen zurechtzukommen und auszukommen. Das ist nicht einfach und ständig gibt es Überraschungen, leider oft solche der unangenehmen Sorte. Die Naturwissenschaften verhelfen uns zu objektivem und sicherem Wissen, Aus solchem Wissen werden Weltbilder gebaut. Seit wir so viel wissen, wissen wir auch, was wir alles nicht wissen. Das Grundgefühl von Sicherheit und Geborgenheit in dieser Welt scheint mit der Zunahme des Wissens nicht zu- sondern eher abzunehmen. Dies rührt auch daher, dass Wissenschaften heute einen Abstraktionsgrad erreicht haben, den wir schlecht oder gar nicht mehr in konkretes Alltagswissen übersetzen können.
Es mag zunächst merkwürdig klingen: Benno Werths Bild-Schöpfungen empfinde ich als Erfüllung kaum bewusster Sehnsüchte, als hochaktuell, als Verstehenshilfe für eigenes und für unverständliches Weltgeschehen und als heilsam für verstörte Seelen.
Benno Werths späte Malkunst wirkt auf mich wie im ZEN ein Koan: Nicht durch die Bemühung „zu verstehen“, sondern allein durch anschauen, sich versenken, wirken lassen.
Seine Malkunst ist nonverbale Kommunikation von Herz zu Herz.  Seine Bilder können verzaubern. Sie zeigen einen inneren Fluß, sie sind Bilder eines inneren Geschehens, Einblicke ins schlagende Herz der Welt.

Prof. Dr.rer.nat. Dieter Dieterich, Januar 2010